Umwehrungen und unbeaufsichtigte Kleinkinder

1. Rechtliche Grundlagen

Umwehrungen und Kleinkindsicherheit

Gesetzliche Grundlage für die weiteren Ausführungen ist in Bayern die BayBO (Anmerkung: in anderen Bundesländern können geringfügig andere Regelungen vorliegen):

In Art. 3 BayBO steht:

„Bei der Anordnung, Errichtung, Änderung, Nutzungsänderung, Instandhaltung und Beseitigung von Anlagen sind die Belange der Baukultur, insbesondere die anerkannten Regeln der Baukunst, so zu berücksichtigen, dass die öffentliche Sicherheit und Ordnung, insbesondere Leben und Gesundheit, und die natürlichen Lebensgrundlagen nicht gefährdet werden“

In Art. 36 (2) BayBO steht

„Die Umwehrungen müssen ausreichend hoch und fest sein. Ist mit der Anwesenheit unbeaufsichtigter Kleinkinder auf der zu sichernden Fläche üblicherweise zu rechnen, müssen Umwehrungen so ausgebildet werden, dass sie Kleinkindern das Über- oder Durchklettern nicht erleichtern; das gilt nicht innerhalb von Wohngebäuden der Gebäudeklassen 1 und 2 und innerhalb von Wohnungen.“

In der bauaufsichtlich eingeführten DIN 18065:2015-3: „Gebäudetreppen – Begriffe, Messregeln, Hauptmaße“ wird ausgeführt: „In Gebäuden, in denen mit der Anwesenheit von unbeaufsichtigten Kleinkindern zu rechnen ist, sollten Treppen mit geeigneten Maßnahmen, z. B. mit Kinderschutztüren nach DIN EN 1930, gegen unbeaufsichtigtes Betreten durch Kleinkinder gesichert werden.“

Unter Ziffer 6.8.3 steht für Gebäude im Allgemeinen:

In Gebäuden, in denen mit der Anwesenheit von unbeaufsichtigten Kleinkindern zu rechnen ist, darf der lichte Abstand von Geländerteilen in einer Richtung nicht mehr als 12 cm betragen und die Geländer sind so zu gestalten, dass ein Überklettern des Treppengeländers erschwert wird…“

Für Wohngebäude mit bis zu zwei Wohnungen und innerhalb von Wohnungen gilt: „Keine Anforderungen zu Öffnungen in Geländern nach dieser Norm.“

2. Kommentare

Im Kommentar zur BayBO von Simon/Busse wird ausgeführt:

„Unter Kleinkinder versteht man im allgemeinen Kinder bis zu 6 Jahren. Mit der Anwesenheit von unbeaufsichtigten Kleinkindern kommen vor allem folgenden Gebäude in Betracht: Schulen, Kindergärten, Kinderheime, Freizeiteinrichtungen und Kindertagesstätten. Dazu gehören weiter alle öffentlichen oder privaten Gebäude oder Teile dieser Gebäude mit umfassenden Publikumsverkehr, zum Beispiel Krankenhäuser, Altenheime, Versammlungsstätten, Kirchen, Sportstätten, Schwimmbäder, Kindertheater und Museen.

Nicht darunter fallen bauliche Anlagen, die von Kleinkindern im Regelfall nicht betreten werden, zumindest nicht ohne Begleitung und damit nicht unbeaufsichtigt. Hierzu zählen gewerbliche Anlagen, Bürogebäude,…“


Im Kommentar vom Rehm-Verlag eLine steht:

Zu Art 36 SAbs.2, Satz 2:

Umwehrungen müssen so ausgebildet werden, dass sie Kleinkindern (insbesondere Kinder bis zu einem Alter von ca. 4 Jahren) das Über- oder Durchklettern nicht erleichtern, wenn mit ihrer Anwesenheit auf den zu sichernden Flächen üblicherweise zu rechnen ist. Eine Umwehrungsausbildung, die Kindern ein Besteigen unmöglich macht ist nicht gefordert – sie sollte dazu jedoch keinen Anreiz bieten und das Überklettern jedenfalls erschweren.

Ein Überklettern ist nicht erleichtert, wenn die Umwehrung keine übereinander liegenden leiterartigen Auftrittsmöglichkeiten bietet. Es ist auch ausreichend, das Überklettern zu erschweren, z. B. durch Anordnung einer Scheibe im unteren Bereich der Umwehrung bis zu einer Höhe von ca. 60 bis 70 cm oder einen um mindestens 15 cm nach innen versetzten Oberholm. Das Durchklettern wird ausreichend erschwert, wenn der lichte Abstand der Umwehrungs- oder Geländerteile in einer Richtung 12 cm nicht überschreitet.

Nach Abs. 2 Satz 2 Hs. 1 gilt die Forderung nur, wenn mit der Anwesenheit von unbeaufsichtigten Kleinkindern üblicherweise zu rechnen ist. Das ist jedenfalls in Kindertageseinrichtungen, Kinderheimen und Schulen der Fall und in der Regel in öffentlich zugänglichen Gebäuden, die üblicherweise auch zusammen mit Kleinkindern aufgesucht werden (z. B. Krankenhäuser, Altenheime, Schwimmbäder, Verkaufsstätten, Beherbergungsstätten). Nicht dazu zählen solche Gebäude, die von Kleinkindern nicht oder nur ausnahmsweise und in Begleitung von Erwachsenen betreten werden, wie z. B. Betriebsgebäude, Büro- und Verwaltungsgebäude, Gebäude der Hochschulen oder Universitäten. Befinden sich in solchen Gebäuden jedoch Bereiche mit Publikumsverkehr, insbesondere mit Aufenthalts- oder Wartezonen (z. B. Meldestelle, Gerichte, Ausstellungen), kann eine unbeaufsichtigte Anwesenheit nicht ausgeschlossen werden. Dagegen dürfte eine Diskothek dafür nicht in Betracht kommen. Ob mit der unbeaufsichtigten Anwesenheit von Kleinkindern üblicherweise zu rechnen ist, ist daher für jedes Bauvorhaben unter Berücksichtigung der geplanten Nutzungen zu prüfen.

Nach Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 sind Umwehrungen innerhalb von Wohngebäuden der Gebäudeklassen 1 und 2 (Höhe bis zu 7 m, höchstens zwei Wohnungen und 400 m²,  Art. 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 2) und innerhalb von Wohnungen ( Art. 46) von der Forderung ausgenommen. „Innerhalb“ von Wohngebäuden oder Wohnungen ist enger zu verstehen als „in“ Wohnungen: so werden Galerieumwehrungen erfasst, ebenso die Treppengeländer innerhalb von Ein- und Zweifamilienhäusern; auch DIN 18065 ( Rn. 9) enthält eine entsprechende Einschränkung (Nr. 6.8.3). Balkongeländer oder Fensterbrüstungen müssen dagegen kindersicher ausgebildet werden.

Der Gesetzgeber ist der Auffassung, dass einige sicherheitstechnische Anforderungen innerhalb von Wohnungen und innerhalb von Ein- und Zweifamilienhäusern nicht gestellt werden müssen (so z. B. auch in  Art. 32 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 bezüglich zweiter Handlauf). Die Vorsorge an innen liegenden Umwehrungen für die Zeit, die ein Kleinkind in der Wohnung lebt, kann auch dem Wohnungseigentümer überlassen bleiben – er wird ohnehin weitere Sicherheitsmaßnahmen vorsehen, z. B. an Herd und Steckdosen. Dagegen sind Maßnahmen an Brüstungen in der Fassade und an Balkongeländern, also Umwehrungen, die nicht innerhalb liegen, u. U. nicht leicht realisierbar. Sie werfen häufig technische und gestalterische Probleme auf und der Wohnungseigentümer ist teilweise auch nicht der Eigentümer der Fassade.“

3. Stellungnahme

Einführend ist anzumerken, dass die Definition „Kleinkind“ nicht klar geregelt ist. Im rechtlichen Sinn versteht man das Alter bis 5 bzw. 6 Jahren, d.h. spätestens bis zum Schuleintritt.

Zur Fragestellung, wann ein Kind zu Hause alleine gelassen werden darf, gibt es keine konkreten Vorgaben. Die Frage, ob Eltern dabei ihre Aufsichtspflicht verletzen, stellt sich meist erst hinterher, wenn etwas passiert ist. Relevant für eine Beurteilung der Aufsichtspflicht sind dann neben dem Alter auch die Art des Alleinlassens der Kinder. Die Hauptfaktoren zur Beurteilung sind:

  • Alter des Kindes
  • Dauer und Zeitpunkt der Abwesenheit
  • Charakter / Entwicklung des Kindes
  • Das Umfeld, in dem das Kind alleine gelassen wird


Die  Bundeskonferenz für Erziehungsberatung (BKE) empfiehlt als grobe Orientierung, Kinder bis zum 3. Lebensjahr nicht unbeaufsichtigt zu lassen.

Ab dem 4. Lebensjahr sollten Kinder nicht länger als 10 bis 30 Minuten alleine gelassen werden, sofern die Eltern in der Nähe sind.

Folglich können Kleinkinder ab ca. 4 Jahren in Wohnungen kurzfristig unbeaufsichtigt bleiben. In besonderen Gefährdungssituationen (z. B. Straßenverkehr) ist ein Kleinkind ohne Unterbrechung zu beaufsichtigen. Sollte eine derartige besondere Gefahr auch in der Wohnung vorliegen, dann trifft das auch auf diese zu (z.B. giftige Pflanzen). Wenn auf einem Balkon aufgrund von Platzmangel Stühle oder ähnliches vor dem Geländer stehen, dann besteht erhöhte Gefahr, so dass während der Abwesenheit die Balkontür zu verschließen ist.


Gemäß einer Veröffentlichung des Landesgesundheitsamtes Brandenburg von 2010 treten bei Kleinkindern, vor allem im Alter bis 3 Jahren, häufig Sturzunfälle auf, die zu Kopfverletzungen mit erforderlicher ärztlicher Behandlung führen.


Aus dem zuvor zitierten Gesetz bzw. DIN Norm lässt sich ableiten, dass in Wohnungen bzw. innerhalb von Gebäuden mit bis zu 2 Wohnungen, keine Anforderungen bzgl. des Über- oder Durchkletterns an die Umwehrungen gestellt werden. Auch der max. Abstand von 12 cm zwischen Geländerteilen ist nicht einzuhalten, nur dass ausreichend hohe Umwehrungen und Handläufe vorhanden sein müssen. Umwehrungen sind nicht nur für Kleinkinder erforderlich, sondern auch für Erwachsene, um zum Beispiel bei Treppen – die auch für Erwachsene immer ein gewisses Sicherheitsrisiko darstellen – die Folgen von Unfällen zu begrenzen. Es gibt genug häusliche Unfälle aufgrund von Unachtsamkeit – durch Ausrutschen -, deren Folgen zu begrenzen sind. Fehlende Umwehrungen oder Treppengeländer stellen auch in Einfamilienhäusern einen Mangel dar, der bei Unfällen haftungsrechtliche Folgen nach sich ziehen kann, wie z.B. Verlust von Ansprüchen, Schadensersatzklage,…. Was passiert z.B. wenn ein Kind, das zu Besuch ist, stürzt?

Die gewisse Freizügigkeit im häuslichen Bereich baut auf den folgenden Grundsätzen auf: zum einen sollen die Bürger im häuslichen Lebensbereich mit möglichst wenig Regelungen belastet werden und zum anderen soll die Eigenverantwortlichkeit der Eltern gegenüber ihren Kindern bestehen bleiben. Es gibt genug Gefahren, so z.B. im Straßenverkehr, denen wir als Menschen bzw. unsere Kinder täglich ausgesetzt sind.

Folglich wir bei einem Unfall, wenn die Umwehrung nicht den allgemeinen Regelungen entspricht, überprüft, ob ersatzweise Sicherheiten vorhanden waren oder ob das Kind unbeaufsichtigt war. Praktisch werden auch innerhalb von Wohnungen Kleinkinder oft nicht bzw. zu wenig beaufsichtigt. Jedem Aufsichtspflichtigen sind Fälle bekannt, sonst würden nicht jährlich tausende von Unfällen passieren, z.B. man unterhält sich mit jemanden, man holt schnell etwas, man telefoniert, man kocht,…

Folglich bedarf es einer altersabhängigen Erziehung zu entsprechendem Gefahrverhalten. So gehören krabbelnde Kinder nicht in die Nähe von Treppen oder Geländern, erst Recht nicht ohne Beaufsichtigung. Gefahrenquellen sind generell eigenverantwortlich zu beseitigen. Dies trifft auf alle Flächen innerhalb und außerhalb der Wohnungen zu; beispielsweise Stühle oder Pflanztröge, die direkt vor einem Balkongeländer stehen.

In Wohnungen mit Kleinkindern müssen die Bewohner selbst entscheiden, wie sie innerhalb der Wohnung für ausreichende Sicherheit sorgen. Die Regelungen an Geländer für allgemeine Wohnbauten hat hier Empfehlungscharakter und wird im Schadensfall von Sachverständigen als Maßstab angesetzt.

Handwerker werden vor Auftraggebern gewarnt, die sich unwissend stellen. Wenn ein Kunde in der Wohnung statt eines sicheren Geländers nur einen Handlauf wünscht, so sollte dieser schriftlich auf die Gefahren und Eigenverantwortung hingewiesen werden. Bei Auftraggebern mit Kleinkindern sollte man dem Kunden Vorschläge unterbreiten, wie eine zeitweise erhöhte Sicherheit gegen Über- oder Durchklettern geschaffen werden kann.


Der Autor weist bei Abnahmen von Eigenheimen oder Wohnungen immer darauf hin, dass die Kleinkindsicherheit, z.B. bei Überschreitung der 12 cm Geländerbauteilabstände oder bei Relinggeländern nicht gewährleistet ist. Formal richtig wäre ein vom Erwerber unterschriebenes Schriftstück, das die eingegangenen Gefahren erläutert. Nach einem Unfall wird gerne auf den vorzitierten Art 3: „Allgemeine Anforderungen“ verwiesen, wonach „ insbesondere Leben und Gesundheit, und die natürlichen Lebensgrundlagen nicht gefährdet werden dürfen“


Abschließend ist noch darauf hinzuweisen, dass Brüstungen und Umwehrungen von Fenstern und Balkongeländer in allen Gebäuden mit Anwesenheit von Kleinkindern kleinkindsicher auszuführen sind, d.h. es gibt keine Ausnahmeregel.    


Dieser Artikel wurde geschrieben von

Bernd Ehrmann

Regierungsbaumeister und öffentlich bestellter Sachverständiger für Schäden an Gebäuden und Baupreisabrechnung

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